Geht es beim Zähneputzen ums Leben?

28.08. 2007

Erschienen in: ff-Gesundheit

Seit 1973 bin ich als Zahnarzt tätig. Hätte mir jemand vor 20 Jahren diese provokative Frage gestellt, hätte ich gelacht. Mag sein, dass viele Menschen auch heute noch diese Frage für leicht überzogen halten werden. Lesen Sie aber meine Meinung und dann entscheiden Sie selbst, ob sich die 3 Minuten täglichen Zähneputzens lohnen oder nicht!

Zähne putzen gehört nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen eines Menschen. „Zeitmangel“, erklärte mir aufrichtig eine durchaus temperamentvolle vierzigjährige Patientin. Viel bequemer ist es nämlich, Karies, Zerstörung der Zahnsubstanz und Entzündungen des Zahnfleischs für ein notwendiges Übel oder sogar für das Schicksal, dem man nicht entrinnen kann, zu erklären.

Mit der Tatsache, dass ein gesunder Zahn nicht erkranken kann, will man nicht gerne konfrontiert werden; denn würde man diese Tatsache anerkennen, müsste man gleichzeitig Eigenverschulden zugeben, wenn ein Zahn erkrankt oder sogar verloren geht. Letztendlich scheint es, als wären Zähne nicht lebensnotwendig und schließlich gibt es den Zahnarzt, der uns den Zahn wieder heilt oder sogar ersetzt. Diesen Teufelskreis zu brechen ist sehr schwierig. Nun gibt es sehr gewichtige Erkenntnisse über die systemische Wirkung der parodontal erkrankten Zähne auf den gesamten Körper. Die Schlussfolgerung, dass es letztendlich nicht nur um die Zähne geht, sondern möglicherweise um das Leben, lässt einen über das tägliche Zähne putzen ganz anders nachdenken. Somit bekommt die oft schwierige Motivierung des Patienten zur täglichen Mundhygiene einen tatkräftigen Helfer.

Also was wissen wir bereits und wie lauten die neuen Erkenntnisse? 98% der Bevölkerung leidet unter Zahnfleischentzündungen verschiedenen Grades. Oft beklagen sich die Patienten, dass das Zahnfleisch beim Putzen blutet. Tatsächlich stellt der Zahnarzt bei der Hälfte dieser Patienten eine aktive Blutung fest, die mit Parodontaltaschen von 4 bis 5 mm einhergeht. Die andere Hälfte der Patienten ist auf dem besten Weg auch dorthin zu kommen. Eine einfache Rechnung zeigt, vom Umfang des Zahnes ausgehend, mal die durchschnittliche Tiefe der Zahnfleischtasche, multipliziert mit den Zähnen, die in der Mundhöhle verweilen, ergibt sich eine riesige Fläche einer offenen und chronisch entzündeten Wunde, die sich wie ein Tor zur beginnenden Vergiftung des gesamten Organismus darstellt. Den Medizinern ist kein anderer, derart infektiöser Herd im Körper bekannt, der bei mehr als 50% der Bevölkerung und oft mehr als 20 Jahre im Durchschnitt auf den Organismus tagtäglich einwirkt.

Außer jedem Zweifel steht auch die Tatsache, dass die Mikroorganismen einen wesentlichen Teil des Zahnbelags ausmachen und somit eine bedeutende Ursache für Zahnfleischentzündung sind. Verschiedene Endotoxine (Gifte) entstehen und rufen letztendlich die Immunreaktion des Organismus hervor. Abwehrkräfte sind in der Regel sehr gut organisiert. Sie sind in der Lage geringe Entzündungen des Zahnfleischs über Jahre im Griff zu halten. Haben wir es aber mit einer sehr großen Entzündungsfläche zu tun, setzt eine massive Entzündungsbekämpfung ein.
Dabei entstehen unterschiedlichste Mediatoren, die langfristig und in großen Mengen in die Blutbahnen gelangen und somit in den ganzen Organismus. Es ist nachgewiesen, dass sie dabei die innere Schicht der Gefäße beschädigen und das Absetzen des Cholesterins sowie das Abfangen und Ablagern der Blutplättchen an deren Oberfläche verursachen.
Was sind die Folgen? Studien bestätigen, dass bei Patienten mit einer schlechten Mundhygiene oder solchen die unter Parodontitis leiden, die Wahrscheinlichkeit des Herzinfarkts 1,5 bis 2 Mal höher ist, das heißt um 70% ansteigt und die Wahrscheinlichkeit des Schlaganfalls um 2,8 % höher ist. Dass auch das Rauchen negative Auswirkung auf die Mund- und Knochenheilung hat, ist reichlich bekannt.
Überraschend aber ist, dass das Rauchen weniger Einfluss auf die beschriebene Arteriosklerose (Arterienverkalkung) hat, als die chronische Zahnfleischentzündung. In neueren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass auch Parodontitis eine Ursache von Frühgeburten und/oder einem niedrigen Geburtsgewicht des Säuglings sein kann. Der Prozentsatz der Frühgeburten steigt bei Patientinnen mit schlechter Mundhygiene auf das 7 fache. Die Diabetes Mellitus Typ II (so genannte Altersdiabetes), steht ebenfalls ohne jeden Zweifel im engsten Zusammenhang mit den Parodontopathien, was oft als Zusammenspiel zweier Volkskrankheiten bezeichnet wird.


Die Medizin forscht weiter und ist dauernd in Bewegung. Es sieht ganz so aus, dass sowohl das Verhalten der Patienten als auch das der Zahnärzte zur Mundhygiene und somit zur Prävention im Allgemeinen stark verändert werden muss. Wo ist es einfacher mit gebündelten Kräften eine Vorzeigesituation zu schaffen, als in den kleinen Ländern Europas, wie in der Schweiz oder hier, in Südtirol?! Die Schweizer haben es bereits geschafft… also an die Arbeit! Ich bin stolz auf mein Team der Mitarbeitern. Die Mädchen sind nicht nur in der Lage eine professionelle Zahnreinigung durchzuführen, sondern durch die Beratung auch vieles vorzubeugen und zum veränderten Verhalten der Patienten beizutragen.


Prävention und Mäßigkeit müssen die Schlagwörter dieses Jahrzehntes sein. Vorbeugen von ernsthaften Erkrankungen durch perfekte Mundhygiene und Mäßigkeit im Bezug auf die Ernährung – Kalorieeinnahme, Zigaretten- und Alkoholkonsum. Dies ist allesamt eine geistige Leistung, für die man die entsprechenden grauen Zellen freistellen soll.

Dr. Ivan Tresnak